Spins - wieso funktionieren die eigentlich?

Was ist ein Spin?

Unter einem Backspin versteht man, aus dem vorwärts Fahren eine 180°-Drehung um die vertikale Achse zu machen und in der selben Richtung, in der man angefahren ist, rückwärts weiter zu fahren. Entsprechend versteht man unter einem Frontspin aus dem Rückwärtsfahren eine 180°-Drehung zum vorwärts Fahren zu machen. Daneben gibt es noch den Riding Spin, was bedeutet, daß man aus dem vorwärts Fahren eine ganze Umdrehung (360°) um die vertikale Achse macht und dann weiterfährt als ob nichts gewesen wäre. Der Backward Riding Spin ist genau das selbe, nur eben aus dem rückwärts Fahren.

Im Folgenden sprechen wir grundsätzlich vom Backspin bzw. Riding Spin. Für den Frontspin und den Backward Riding Spin muß man jeweils vorwärts und rückwärts vertauschen, aber dann gilt alles Gesagte auch hier.

Anfänger fahren diese Spins normalerweise, indem sie beim Riding Spin einfach einen möglichst kleinen Kreis fahren und beim Backspin eine 90°-Kurve, dann abbremsen, rückwärts wieder losfahren und sofort wieder eine 90°-Kurve machen. Wenn der Kreis bzw. die Kurve klein genug ist und das Abbremsen und Beschleunigen schnell genug geht, sieht das sogar halbwegs passabel aus. Aber eben nur halbwegs.

Jeder, der im Gegensatz zu dem eben Beschriebenen schon mal einen echten Spin gesehen hat, wird zugeben, daß da doch ein großer Unterschied ist. Man kann nämlich Backspin und Riding Spin auch so fahren, daß man sich zusammen mit dem Einrad anscheinend ansatzlos auf einem Punkt dreht und dann rückwärts bzw. vorwärts weiterfährt. Wenn es gut gemacht wird, sieht das fast so aus, als ob man gar nicht auf dem Einrad fährt, sondern mit dem Einrad über den Boden schwebt und man sich dann mal eben um die eigene Achse dreht, was ja beim Schweben eine eher natürliche Bewegung ist...

Aber das geht doch physikalisch gar nicht!

Da es bislang noch niemand fertig gebracht hat, mit dem Einrad wirklich zu schweben, muß es eine Erklärung für die Spins geben. Alle, die über ein gewisses physikalisches Grundverständnis verfügen, werden wissen, daß man wegen des Grundsatzes der Impulserhaltung eine Drehung nicht aus der Luft zaubern kann. Und der Berührpunkt zwischen Einrad und Boden bietet sicherlich nicht genügend Reibung oder gar Haftung, um sich in irgendeiner Form zu einer Drehung abstoßen zu können. Wo also kommt der Drehimpuls her?

Ganz so ansatzlos, wie es aussieht, ist ein Spin gar nicht. Um ihn auszuführen passiert Folgendes: man fährt in einem großen Kreisbogen (mit mehreren Metern Durchmesser) an und blockiert dann schlagartig die Pedale. Dadurch dreht man sich in die Rotationsrichtung des Kreisbogens. Nach einer halben bzw. ganzen Umdrehung gibt man die Pedale wieder frei und fährt weiter. Und schon hat man einen Backspin bzw. einen Riding Spin gemacht. Wenn man für den Kreisbogen einen groß genugen Radius wählt, und ihn erst kurz vor dem Spin einleitet, ist er für Außenstehende praktisch unsichtbar, und es sieht so aus, als ob die Spins aus der Geraden heraus gefahren wurden. Ganz so einfach, wie es sich hier anhört, ist die Sache natürlich nicht. Außer die Pedale zu blockieren muß man sich noch ein wenig nach hinten ankippen lassen, weil das Einrad - da man halt doch nicht schwebt, sondern Bodenhaftung hat - während der Drehung schlecht fahren kann und deshalb eine gewisse Verzögerung - oder praktisch gesprochen eine Vollbremsung - auftritt, so daß der Fahrer nach vorne geworfen wird. Das ist auch gut so, weil das Ankippen so gewählt sein sollte, daß man nach Beendigung des Spins Vorlage (in Fahrtrichtung, beim Backspin heißt das natürlich dann Rücklage bezüglich der Blickrichtung) hat, die man auch dringend braucht, weil man etwas beschleunigen muß, um die durch das Bremsen verlorengegangene Geschwindigkeit wieder auszugleichen. Man will ja - zumindest in den Augen der Zuschauer - mit konstanter Geschwindigkeit fahren. Dieses Bremsen und Beschleunigen ist nicht zu verwechseln mit dem Bremsen und Beschleunigen das oben beschrieben wurde bei der Art, wie Anfänger Backspins fahren. Hier geht es nur darum, Reibungsverluste zwischen Einrad und Boden auszugleichen. Und solange ein Einrad quer steht, fährt es halt nicht, sondern schlittert höchstens, und das auch nicht besonders gut. Wenn jemand Spins flüssig vorführt, kann man sicher sein, daß derjenige sehr viel dafür trainiert hat.

Dies ist aber kein Einradworkshop, sondern es sollen die theoretischen Hintergründe von Spins erläutert werden. Daher werden wir die praktische Seite nun ruhen lassen und uns mit der Theorie beschäftigen.

Was theoretisch dahinter steckt

Daß das gerade beschriebene Prinzip wirklich funktioniert, kann man mit einem Experiment leicht ausprobieren. Man bindet einen Faden an einen Bleistift, so daß der Bleistift horizontal ausbalanciert ist und oben und unten jeweils ein Ende des Fadens wegsteht. Diese beiden Enden nimmt man nun in die Hand (eine Hand über dem Stift, die andere darunter, so daß der Stift zwischen den beiden Händen am Faden schwebt, vgl. Abbildung). Jetzt dreht man sich im Kreis und hält plötzlich an. Der Stift wird sich drehen.

Der Grund dafür läßt sich erklären. Ein Stift hat genauso wie ein Einrad eine Länge. Beim Stift ist dies die Entfernung von der Spitze zum Ende, beim Einrad vom vordersten Punkt des Rads bis zum hintersten (unter der Annahme, daß der Sattel kürzer ist als der Raddurchmesser). Wird nun das Einrad wie in der Abbildung gezeigt auf einem Kreis s bewegt, dann bewegt sich zu einem beliebigen aber festen Zeitpunkt der vorderste Punkt des Rads p1 mit der Geschwindigkeit v1 tangential zum Kreis (wir betrachten Geschwindigkeiten grundsätzlich als Vektor, der Begriff Geschwindigkeit beinhaltet also sowohl den Betrag der Geschwindigkeit als auch die Richtung der Bewegung). Ebenso bewegt sich der hinterste Punkt des Rads p2 mit der Geschwindigkeit v2 tangential zum Kreis. Es gilt | v1| = | v2|, aber v1und v2 sind nicht parallel.

Werden nun die Pedale blockiert, wird das Einrad in seinem Schwerpunkt p abgebremst. Sei g eine Geschwindigkeit, im Punkt p tangential zum Kreis s, mit umgekehrtem Vorzeichen zu v1 bzw. v2 (das soll konkret bedeuten, daß g und v1 bzw. g und v2 jeweils einen stumpfen Winkel zueinander bilden) und mit |g| = |v1| = |v2|. Wird nun die Vorwärtsbewegung des Einrads durch negative Beschleunigung vollständig zum Stillstand gebracht, das heißt, die Beschleunigung ist gerade so stark, daß das Einrad aus dem Stillstand auf Geschwindigkeit g beschleunigt würde, dann bewegt sich p1 mit Geschwindigkeit w1 = v1 - g und p2 mit Geschwindigkeit w2 = v2 - g. Die Normalkompenten (bezüglich s) von w1 und w2 sind additiv invers zueinander. Daher ergibt sich eine Rotation um Punkt p, den Schwerpunkt des Einrads. Analoge Überlegungen gelten natürlich auch für alle anderen Punkte q1 des Einrads und den bezüglich p punktsymmetrischen Punkt q2.

Bei diesen Überlegungen wurden mehrere Vereinfachungen angenommen:

  1. Das Einrad wurde als symmetrisch angenommen. Das trifft in der Praxis sicherlich nicht zu. Aber Einräder und ihre Fahrer sind doch annähernd symmetrisch aufgebaut, so daß die Abweichung von der Symmetrie vernachlässigt werden kann.

  2. Da ein Einrad gerade und nicht gebogen ist, liegen die Punkte p1 und p2 nicht auf s. Allerdings ist die Abweichung zu vernachlässigen, da der Raddurchmesser im Verhältnis zum Radius von s sehr klein ist.

  3. Durch das Ankippen lassen vor bzw. während dem Blockieren der Pedale verschiebt sich der Schwerpunkt. Dieser Faktor ist sicherlich nicht unerheblich. Mangels vorliegender quantitativer Aussagen zu Zeitpunkt und Intensität des Ankippens, konnte er nicht berücksichtigt werden.

  4. Pedale können nicht schlagartig blockiert werden. Das ist ein Vorgang, der sich über einen gewissen Zeitraum hinzieht. In der Praxis ist es wohl so, daß das Abbremsen und wieder Beschleunigen der Drehung des Rads nahtlos ineinander übergehen, sich also über die gesamte Zeit der Drehbewegung des Einrads erstreckt. Auch dies nimmt sicherlich nennenswerten Einfluß auf den gesamten Vorgang. Wie in Punkt 3 mußte diese Störung des Modells mangels Daten ignoriert werden.

  5. Es gibt noch andere Störeinflüsse, die bislang gar nicht zur Sprache kamen. Darunter fallen etwa Reibung zwischen Boden und Reifen, sowie Reibung in den Lagern des Einrads, Luftwiderstand und die Tatsache, daß sich sowohl das Einrad als auch der Fahrer während der ganzen Zeit bewegen (auch in sich, nicht nur relativ zu einem festen Beobachter). Einrad und Fahrer bilden also keine in sich starre Einheit, sondern ändern ständig ihren Schwerpunkt. Weiterhin müßte man die Trägheit berücksichtigen, die etwa durch die Rotation des Rads entsteht. All diese Dinge und noch viele mehr wurden vernachlässigt.

Zusammenfassend muß ich zugeben, daß einige dieser Einflüsse unter Umständen, alle zusammen auf jeden Fall eine wesentliche Störung des oben skizzierten Modells darstellen. Man sollte sich also nicht auf die quantitativen Aussagen verlassen. Trotzdem denke ich, konnte eine qualitative Begründung für das Entstehen einer Rotation um die vertikale Achse gegeben werden. Einen deutlichen Hinweis auf die Ungenauigkeit des Modells erhält man, wenn man die Geschwindigkeit der Rotation betrachtet. Aus Gründen der Drehimpulserhaltung dauert ein Backspin gemäß diesem Model genauso lange, wie es dauern würde, den halben Kreis s mit konstanter Geschwindigkeit entlang zu fahren. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von v = 15km/h und einem Radius von r = 4m für s ergibt sich so eine Zeitdauer t von knapp über 3 Sekunden (t = π r / v). In der Praxis zeigt sich aber, daß die benötigte Zeit wesentlich kürzer ist (deutlich unter einer Sekunde).